Aus der KindheitAlbert Auer, seit 1973 in Pfaffenhofen ansässig, wurde 1924 in Kirchheim (Landkreis Unterallgäu) geboren, als sechstes Kind eines Landwirts und Bäckermeisters. Sein Stammbaum lässt sich bis 1650 zurückführen.Das bäuerliche Leben sah damals ganz anders aus als heute. Die Auers hatten zwei Pferde als Zugtiere, zehn Kühe, Schweine und Geflügel. Es gab noch keine Traktoren sondern Pferdegespanne. Die Tiere zogen Arbeitsgeräte oder eisenbereifte Wagen. Auf dem Auerschen Anwesen wurde bereits mit einem von Pferden gezogenen Mähbalken gemäht, nicht mehr mit der Sense. Jeder musste bei der Arbeit zulangen, ein Knecht, eine Magd und alle Familienmitglieder, sogar schon die Kinder, je nach Kräften. Albert trug zum Beispiel für die Bäckerei Semmeln aus, noch bevor er in die erste Klasse ging.Von 1931 bis 1938 besuchte Albert Auer die Volksschule in Kirchheim. Mädchen und Buben besuchten dort unterschiedliche Schulen. Die Mädchen wurden von Klosterfrauen unterrichtet, die Buben von männlichen Lehrern, und zwar in einem Trakt des Rathausgebäudes. Dort waren in je einem Raum drei bis vier Klassen zum Unterricht zusammengefasst. So bildeten die Klassen 1-4 und 5-7 je eine Gruppe mit ihrer Lehrkraft. Das erforderte vom Lehrer ein hohes Maß an Organisation und von den Kindern Disziplin.Stockschläge waren als Disziplinierungsmittel noch lange erlaubt. Albert Auer trafen sie anlässlich einer Fronleichnamsprozession: Die Schüler marschierten mit, gefolgt vom Chor. Nun war Alberts Lehrer gleichzeitig Chorregent und hatte die Buben im Auge. So bemerkte er eine ungehörige Rempelei unter den Knaben, was zu einer Strafaktion am nächsten Tag in der Schule führte. Alle beteiligten Übeltäter mussten je vier sogenannte "Hosenspanner" über sich ergehen lassen.An die Volksschule schloss sich die Aufbauschule in Lauingen an(1938-1943). Doch der Krieg unterbrach die Ausbildung.Nazizeit und KriegAls Hitler 1933 an die Macht kam, war Albert Auer neun Jahre alt. Sein Vater amtierte zu der Zeit schon mehr als zehn Jahre lang als Bürgermeister und war als solcher auch der Nationalsozialistischen Partei beigetreten. Da es aber im Gemeinderat zu Spannungen mit der NS-Fraktion kam, trat er 1935 vom Amt zurück. Sein Sohn Albert war seinem Alter entsprechend im Jungvolk (Alters-gruppe 10 - 14) und in der Hitlerjugend.1939 begann der 2. Weltkrieg. Der älteste Bruder - gelernter Bäcker - wurde sofort eingezogen, musste am Polen- und Frankreich-Feldzug teilnehmen. Später kämpfte er in Jugoslawien, wo er vermisst blieb.Der zweite Bruder arbeitete als Holzbildhauer. Als 1933/34 die deutsche Wirtschaft schlecht lief, war er ohne Arbeit. Deshalb meldete er sich zur Reichswehr und brachte es bis zum Leutnant, was nur wenigen Soldaten ohne höhere Schulbildung gelang. Er kämpfte in Frankreich, Polen, Russland sowie auf dem Balkan - und überlebte.Albert Auer selbst wurde im Februar 1943, als Stalingrad gefallen war, eingezogen - im Alter von 18 Jahren. Zunächst musste er zur Ausbildung in den Französischen Jura nahe der Schweizer Grenze, von dort aus nach Russland: Am Heiligen Abend 1943 kam er in Cherson am Schwarzen Meer an. Dort gab es Rückzugsgefechte mit vielen Gefallenen, häufiges Wachestehen sowie Übernachtungen im freien Feld. Dabei erfror sich der junge Soldat Ende Februar vier Zehen am linken Fuß. Sie wurden schwarz und schmerzten heftig, so dass eine Amputation unumgänglich wurde. Zunächst behandelte man ihn im Feldlazarett, dann in Böhmen, nämlich im Reservelazarett Sternberg. Würde man den ganzen Fuß abnehmen müssen? Noch waren die Zehen dran, doch das schwarze Gewebe setzte sich allmählich vom gesunden ab, so dass die Knochen sichtbar wurden. Bevor man zur Amputation schritt, behandelte man Auer mit Schmerzmitteln und mit Ichthyol (einem schwarzen Schieferöl) sowie mit Prontosil-Salbe gegen Entzündung. Schließlich wurde er in die Heimat ve-legt, ins Reservelazarett in Mindelheim. Dort kam er am 1. Mai 1944 an, aber erst im Juni wurden ihm die Zehen amputiert, drei Monate nach den Erfrierungen.Nun hieß es, den Soldaten wiederherzustellen. Die Monate bis in den Herbst verbrachte er als Genesender im "Englischen Institut", einem Reservelazarett in Mindelheim.Anschließend wurde er der "Genesendenkompanie" in der Jägerkaserne Sonthofen zugeteilt, wo er in der "Bastelabteilung" Kinderspielzeug aus Holz und Spanplatten herstellte: kleine Leiterwagen und Feuerwehrfahrzeuge mit ausziehbarer Leiter.Im April 1945 wurde Albert Auer noch eingesetzt in einer Kompanie im Württembergischen, jedoch ohne Feindberührung. In den letzten Apriltagen kam morgens eine Radiomeldung, dass die "neue Bayerische Regierung" ausgerufen worden war. Diese wurde zwar gleich wieder abgesetzt, doch der Kompanieführer hatte die Meldung gehört, ging davon aus, dass der Krieg vorbei sei, ließ seine Soldaten antreten und schickte sie heim. Während die meisten seiner Kameraden in Richtung Berge zogen, entschied sich Auer, heimwärts zu marschieren. Aber der Heimweg war nicht so einfach, denn Brücken über die Iller und andere Flüsse waren von SS besetzt und für die Sprengung vorbereitet. Außerdem waren die Amerikaner schon im Lande. Da er noch die deutsche Soldatenuniform trug und keine Entlassungspapiere hatte, drohte ihm noch die amerikanische Kriegsgefangenschaft.Unterwegs kam Albert Auer an Bäumen vorbei, an denen Menschen erhängt worden waren, weil sie den sinnlos gewordenen Kampf gegen die anrückenden Amerikaner nicht mehr mitmachen wollten. Es bestand also auf seinem Heim-weg immer die Gefahr, an den Falschen zu geraten. Ohne Wehrpass mit Entlas-sungsvermerk hätte er sogar noch als Fahnenflüchtiger hingerichtet werden können. Doch zum Glück begegnete er mehreren Menschen, die ihm weiter-halfen, die ihm z.B. Stellen verrieten, wo man den nächsten Bach oder Fluss überqueren konnte. An einer Tankstelle bettelte er sich eine Straßenkarte. Am ersten Abend drang er in die Scheune eines Bauernhofes ein und übernachtete dort im Heu. Als sich morgens der Hofbesitzer mit seinem Hund näherte, machte sich Auer gleich bemerkbar und erklärte seine Situation. Da schickte ihn der Bauer ins Haus zu seiner Frau, die ihn mit einem Frühstück bewirtete. Danach gab sie ihm einen Brief an ihre Schwester, die mehrere Kilometer weiter in Richtung seiner Heimat wohnte. Diese sollte seine nächste Station sein. Auf ähnliche Weise wurde er von Ort zu Ort weitergeschickt und versorgt.Stück für Stück tauschte er in Einödhöfen seine Uniform gegen Zivilkleidung um. Unter anderem bekam er einen viel zu großen Hut geschenkt. Was ihm immer noch fehlte, war ein Wehrpass, der seine Entlassung bestätigte und ihn vom Soldaten zum Zivilisten machte. Als er unterwegs einem Mann davon erzählte, schickte der ihn zu einem verlassenen Wehrmachtswagen, in dem er sich einen Wehrpass suchte, dessen Passfoto ihm einigermaßen entsprach. Weiter ging's durchs freie Feld und durch Wälder. Auf einem Waldweg begegnete er einer Gruppe Flakhelfer. Sie erzählten ihm, dass sie gerade von amerikanischen Soldaten kontrolliert worden waren, deren Panzer im Wald am Wegesrand stecken geblieben war. Auer ließ es darauf ankommen und marschierte weiter. Die Amerikaner hielten ihn an und forderten seine Papiere. Er zeigte dem ersten seinen stibitzten Wehrpass und wandte sein Gesicht dem zweiten zu, der seinen Rucksack untersuchte, damit die mangelnde Übereinstimmung mit dem Foto nicht auffiel. Die beiden feindlichen Soldaten schienen aber wenig Interesse an ihm zu haben, gaben den Wehrpass zurück, schnallten ihm den Rucksack wieder auf den Rücken und ließen ihn weiterziehen. An einer Weggabelung bog er nach rechts ab, während von links ein Trupp Amerikaner deutsche Soldaten als Kriegsgefangene vor sich hertrieb. Spontan winkte er ihnen zu. Erst im Nachhinein wurde ihm bewusst, dass er hier um ein Haar selbst in Gefangenschaft hätte geraten können.Dieser Heimweg dauerte vier Tage. Seinen Heimatort bereits im Blickfeld, begab sich Albert Auer zu einer Scheune auf einer Wiese des elterlichen Anwesens. Zufällig traf er dort seinen Vater, der gehört hatte, dass dort ein verlassenes Wehrmachtspferd untergestellt sei. Die gegenseitige Freude kann man sich vorstellen. Gemeinsam gingen die beiden nach Hause, wo der Vater zur Begrüßung rief: "Hier bringe ich ein neues Pferd - und den Knecht gleich dazu."Das war am 1. Mai 1945. Nun war aber der Krieg noch nicht zu Ende und Auer wagte nicht, zu Hause zu bleiben, weil dort noch ein serbischer Kriegsgefangener als Arbeitskraft eingesetzt war. Dieser hätte ihn noch verraten können. Deshalb sorgte eine seiner Schwestern dafür, dass er auf dem nahegelegenen Reservelazarett im Fuggerschloss unterkam. Dort verbrachte er die letzten Tage bis zum Kriegsende am 8. Mai. Die offizielle Entlassung erfolge am 27. Juni, im Entlassungslager Biessenhofen bei Kaufbeuren.Aufgefundene Wehrmachtspferde wurden später von einer Kommission erfasst und an Bauern übergeben, die besonders viele Pferde für den Kriegsdienst abgeben mussten. Berufslaufbahn im Zeichen der LandwirtschaftNach dem Krieg setzte er seine Ausbildung fort mit einer Landwirtschaftslehre in Kirchheim und Honsolgen, dem Studium der Landwirtschaft in Weihenstephan, einem Landwirtschaftsreferendariat und dem Staatsexamen. Danach arbeitete er von 1953 bis 1965als Landwirtschaftsberater und -Lehrer am Landwirtschaftsamt und der Landwirtschaftsschule in Wertingen, wo er 1956 heiratete.1965 trat er in die Bayerische Düngekalk-Gesellschaft ein und leitete verschie-dene bayerische Düngekalkberatungsstellen, zuletzt seit 1973 in Pfaffenhofen. So ist er Pfaffenhofener geworden, wo auch seine Töchter mit ihren Familien leben.1988 trat er in den Ruhestand, ausgezeichnet mit dem Ehrenteller des bayeri-schen Landwirtschaftsministeriums.RuhestandMit dem Ruhestand ist das Leben nicht zu Ende. Nun hatte Albert Auer Muße, sich intensiv mit Ahnenforschung zu befassen. Dabei konnte er zurück bis zum Jahre 1650 über 600 direkte Vorfahren erfassen. Als Ergebnis jahrelanger Forschungsarbeit erstellte er nicht nur eine Ahnentafel, sondern auch eine umfangreiche Chronik der Familie Auer. Sie enthält neben historischen Fotos auch Kopien alter Dokumente, deren Schrift heute kaum noch jemand lesen kann. Deshalb entzifferte er sie und übertrug sie in moderne Schrift, um sie den Nachfolgegenerationen zu erschließen.Von 1995 bis 2019 war Albert Auer Mitglied im Heimat- und Kulturkreis Pfaffenhofen. Der Verein schätzte seine Erfahrung und besonders seine unschätzbare Hilfe beim Entziffern alter Schriften.(Text: U. Beyer und A. Auer, Mai 2015 / Foto: U. Beyer)
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