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Nachkriegskindheit in Pfaffenhofen - Max Heckmeier erzählt Nachkriegskindheit in Pfaffenhofen - Max Heckmeier erzählt

Nachkriegskindheit in Pfaffenhofen - Max Heckmeier erzählt

i 7. Juli von Max Heckmeier

Erste Begegnung mit dem Vater

29. 11. 1943: Der 2. Weltkrieg tobte schon vier Jahre lang. Nach den Feldzügen in Polen und Frankreich waren unsere Soldaten bereits tief nach Russland bis Stalingrad und den Kaukasus vorgedrungen. Die Rote Armee griff erneut die 4. deutsche Armee an der Straße westlich von Smolensk an. Ja, am 29.11.1943 bin ich im städtischen Krankenhaus in Pfaffenhofen geboren. Sogenannte Kriegsware!
Mein Vater war am Tage meiner Geburt als Soldat irgendwo in Russland bei Stalingrad unterwegs. Er war nie in einer nationalistischen Partei und wurde mit 20 Jahren 1941 zum Wehrdienst eingezogen. Die ersten Jahre meines Lebens kümmerten sich meine Mutter und die Großeltern um mich. Wir lebten zusammen in deren Haus in der Grabmeirstraße, da ja mein Vater noch Jahre in Russland Krieg, Elend und Gefangenschaft erleiden musste.
Als ich 3 ½ Jahre alt war, im Jahre 1947, kam mein Vater aus russischer Gefangenschaft frei und ich sah ihn zum ersten Mal, ausgehungert und abgemagert als fremden Mann in der Türe stehen. Ich erschrak, auch weil seine ersten Worte beim Anblick unseres geliebten Mischlingshundes Timi waren: „Deats no grod den Hund glei schlacht’n, denn i hob an Hunga“. Zum Glück war dieses Opfer nicht nötig.
Großmutter, die Hebamme

Meine Oma Anna Heckmeier, geboren 1899, war über 40 Jahre lang Hebamme und wurde zu über 8000 Geburten gerufen. Sie war sehr beliebt in Stadt und Land. Da sie keinen Führerschein hatte, fuhr sie mein Opa zu den Hausgeburten und meist zwei bis dreimal zum „Kindswaschen“ (Nachbesuchen) in die entlegensten Einöden und Weiler des Landkreises, zunächst mit der Motorrad-Beiwagenmaschine, dann schon ab 1950 mit den Opel-Rekord, damals noch ohne Heizung und im Winter eiskalt.
In den 50-ziger Jahren wurden die Hausgeburten weniger und die Wöchnerinnen wurden dann von meinem Opa abgeholt und ins städtische Krankenhaus nach Pfaffenhofen gebracht, denn die Landbevölkerung hatte meist noch kein Auto. Zum Kindswaschen durfte ich öfters mitfahren. Meist bekamen wir ein Stück Brot und Geräuchertes serviert, doch ich brachte nur ein paar Bissen von dem fetten Fleisch hinunter. Auch den Landdialekt verstand ich nicht so recht, wenn die junge Mutter z. B. fragte: „kimmst jetzt am Irda, Micka oder Pfinsta wieder?“ (= am Dienstag, Mittwoch oder Donnerstag).
Entlohnt wurde meine Großmutter besonders in der Zeit vor der Währungsreform nicht mit Geld, sondern mit Naturalien: Eier, Schmalz und Geselchtes. Das war sehr gut für uns, denn dadurch hatten wir immer was zu beißen in der schlechten Zeit des Krieges und danach, als man auch die Lebensmittelmarken zugeteilt bekommen hat. Das Geld war bis zur Währungsreform 1949 sowieso nichts mehr wert. Oft zahlte man für einen Laib Brot eine Billion Reichsmark. Nach 40 Jahren Tätigkeit und im ersten Monat ihrer Rente verstarb meine Oma im Alter von 61 Jahren an Krebs.
Der Großvater

Am 45. Geburtstag von meinem Opa Joseph Heckmeier (geboren 1898), kam ich zur Welt. Er war von Beruf Schuhmachermeister, übte aber den Beruf, als ich geboren wurde, nicht mehr aus. Nur die alten Schuhleisten aus Holz und verschiedene Werkzeuge lagen im Speicher noch jahrelang herum.
Er war Imker und hatte bis zu 50 Bienenvölker in zwei großen Bienenhäusern im Heimgarten oberhalb des Zähleramtes (heute umgebautes Hotel) an der Ingolstädter Straße und in einem Bauerngarten in Plöcking bei Scheyern. Dorthin durfte ich als Bub öfter mitfahren.
Kühlschrank, Fernseher und sonstige Errungenschaften des heutigen Lebens kannte man damals noch nicht. So musste ich als Bub jeden Tag am Abend die Milch beim Schöll, das alte Bauernhaus steht heute noch an der Ecke Stadtgraben-Weilhammer-Klamm, holen. Auch für die „Herztropfen“ meines Opas, wie er die abendliche Ration von zwei mal drei Schoppen Bier nannte, war ich zuständig und holte sie beim Heima, so nannte man die Gaststätte Müllerbräu an der Ecke Frauenstr.-Hauptplatz, ganz frisch in den Maßkrügen. Als ich recht Durst hatte, nahm ich schon mal einen Schluck schön verteilt aus den beiden Maßkrügen, an einem nicht einsehbaren Hauswinkel zu mir. Mein Opa schimpfte dann gleich, dass wieder mal so „schlecht eigschenkt“ war. „Bua, do muasst die rührn beim Schenkkellner“.
In den letzten Jahren ging er meist mit dem Hackelstecken, den ich so hin und wieder zu spüren bekam, wenn ich manchmal nicht so parierte, wie er sich das vorstellte.
Im Januar 1962 verstarb mein Opa mit 60 Jahren, und hinterließ mir an die 35 Bienenvölker zur Betreuung. Ich war damit ziemlich überfordert und gab die Bienenzucht bald auf.

Erste Begegnung mit den Siegermächten
Wir hatten einen großen Heimgarten oberhalb der Ingolstädter Str. östlich des Bunkergeländes, wo heute noch Gärten von den Bürgern gepflegt werden. Mein Opa hatte mindestens zwölf Apfelbäume dort stehen. Im Herbst musste ich immer Fallobst zusammenklauben, das machte mir nicht immer Freude. Aber der vom Opa gepresste Apfelsaft war als Durstlöscher doch immer sehr begehrt. Auch der Transport zu unserem Wohnhaus in der Grabmeirstraße war meine Aufgabe. So musste ich eines Abends mit dem Radl-Karrn, vollbeladen mit frisch gepflückten, rotbackigen, schönen Äpfeln heimfahren.
Als ich vom Berg in die Ingolstädter Straße mit meinem Radl-Karrn rasant einbiegen wollte, musste ich gehörig bremsen vor einer beängstigenden militärischen Übermacht. Die amerikanische Besatzungsmacht stand da mit zahlreichen Panzern im Stau Richtung Stadtplatz. Viele schwarze Soldaten schauten aus der oberen Luke heraus und es ertönte sofort als einer mich sah, der Schrei „apple, apple, apple“. Es war ein unerwarteter Lärm, den ich heute noch in mir höre. Von Panzer zu Panzer schien die Kunde nach etwas Besonderem zu lärmen.
Im Nu war ich umringt von zahlreichen Soldaten, die sich gierig über die Äpfel hermachten. Umringt von weißen und schwarzen stämmigen Gestalten brachte ich vor Angst keinen Laut über meine Lippen. Sie schrien auf Englisch durcheinander und ich verstand kein Wort. Mein Radl-Karrn war schnell der schönen Äpfel beraubt! Aber nach und nach legte jeder ein kleines Dankeschön in den Karren - für uns hochbegehrte Sachen zu dieser Zeit: Chewinggum (Kaugummi) Blockschokolade, sogar etliche amerikanische Zigaretten für den Vater und Opa waren dabei. Alles vollzog sich in Sekundenschnelle und im Nu waren alle verschwunden und der Konvoi löste sich schnell wieder auf.
Den Schreck noch in den Gliedern und mit hochbegehrter Fracht sauste ich nach Hause, wo ich mit großem Erstaunen empfangen wurde. Einige Tage später konnte ich noch mit dem Chewinggum in der 1. Klasse Volksschule richtig Eindruck schinden.

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