Die Grundstücke an der Straße, die vom Hungerturm zur Ilm führt und ein Stück am Bach entlang, gehörten der Heiliggeist- und Gritsch’schen Fundationsstiftung, die sie 1937 verkaufte, unter der Bedingung, dass der Käufer innerhalb von drei Monaten mit dem Bau eines Wohnhauses beginnen musste, und zwar mit „hiesigen“ Bauhandwerkern. Die Häuser sollten einen rechteckigen Grundriss und ein Satteldach haben. Sie durften nur aus Keller, Erdgeschoss, Obergeschoss und Dachgeschoss bestehen, wobei das Dach nicht ganz ausgebaut werden durfte. Als Grundstücksbegrenzung war ein gehobelter Lattenzaun vorgeschrieben von maximal 1,20 m Höhe. So genau waren die Bauvorschriften damals also. Die Straße war zu dieser Zeit nach dem Hitler-Anhänger Theodor Casella benannt, einem Teilnehmer am Hitlerputsch (9. November 1923), der dabei zu Tode kam, als er einen verwundeten Mit-Putschisten in Deckung ziehen wollte und somit von den Nazis als Held verehrt wurde. Wegen dieses politischen Hintergrunds wurde die Straße schon bald nach dem Ende des 2. Weltkriegs, im Juni 1945, vom Stadtrat unbenannt und bekam einen unverfänglichen Namen, vorsichtshalber nicht mehr nach einer Person, sondern nach ihrer geographischen Lage: Ilmstraße.Im Jahre 1937 kaufte Babette Sebald, Landwirtstochter aus Reisgang, das Eck-Grundstück an der Ilm zum Preis von nur 960 Reichsmark. Für den Straßenbau musste sie deutlich mehr bezahlen, nämlich fast 1500 Reichsmark. Der Kaufvertrag war unterzeichnet mit „Heil Hitler! Der Bürgermeister: Niedermayr.“ Heutzutage erschreckt diese Grußformel den Leser.Die ortsansässige Firma Thaller baute das Haus. Schon im Oktober 1938 war eine Wohnung mit 93 m² um 75 Reichsmark pro Monat vermietet. Damals gab es zwar keinen Mietspiegel, aber das Bezirksamt überprüfte, ob die Miete angemessen war. Es legte bei der Berechnung einen Bauaufwand von 25 000 Reichsmark zugrunde. Babette Sebald zog nicht selber ein, sondern vermietete zwei Wohnungen.Da das Gelände östlich des Hungerturms Überschwemmungsgebiet war und die Baumstämme des dortigen Holzlagers öfter mal davonschwammen, wurde das Bett der begradigten Ilm vertieft, so dass die Wohnhäuser am westlichen Ufer sicher waren. Die Eigentümer mussten sich dazu 1939 für eine geringe Gebühr einer Genossenschaft anschließen. Die Regulierung der Ilm durch den Reichsarbeitsdienst war Voraussetzung gewesen, um den Bereich der Ilmstraße überhaupt bebauen zu können.Die Deutsche Geschichte berührte das Haus nicht nur den Straßennamen betreffend. Denn während der Amerikanischen Besatzung war es von der Militärregierung beschlagnahmt und die Mieter mussten ausziehen. Es zogen Amerikaner ein und auch ihr Dolmetscher: Erich Beyer, ein Dresdener, der mit Professor Stock nach Pfaffenhofen gekommen war und wegen seiner Englischkenntnisse von den Amerikanern angestellt wurde. Es mussten im Landkreis Pfaffenhofen u. a. das Banken-, Post- und Verkehrswesen wieder zum Laufen gebracht, sowie militärische und zivile Güter verwaltet werden.Silvester feierten die Amerikaner zusammen mit Beyer und seiner Braut Rosa Knorr aus Reisgang vergnügt und hoffnungsvoll den Jahreswechsel mit leiblichen Genüssen, die die deutschen Gäste lange entbehrt hatten. So erzählte Rosa Knorr in späteren Jahren.Die Besatzer solch „requirierter“ Gebäude zahlten Miete, während die Eigentümer für die Instandhaltung zuständig blieben, denen die Häuser nach Abzug der Amerikaner zurückgegeben wurden.Weitgehend unverändert steht das Haus von Babette Sebald heute noch an der Ilm, eingebettet in einen gepflegten Garten hinter einer schützenden Hecke. ----------------------Text: Ursula Beyer Foto: Richard Carmanns (mit seiner Genehmigung)Quellen:Heinrich Streidl: Häuserchronik, Seite 417Dokumente aus dem Privatbesitz des Erben von Babette Sebald Dokumente aus dem Privatbesitz von Ursula Beyer Erinnerte Erzählungen von Zeitzeugen
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